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Vorbemerkung
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Die Regiearbeit
Nun soll ich hier über die Inszenierungsarbeit an sich schreiben und fühle mich wie ein Schuster mit einem Loch in der Sohle. Wie kann ich annähernd richtig und umfassend formulieren, was mir selbst so nah und so wichtig ist? Die Regiearbeit an einem Theaterstück oder Film kann für mich das beruflich Erfüllendste überhaupt sein. Es ist jedes Mal aufs neue spannend, den Prozess von der ersten Entscheidung für einen Theatertext, einen Stoff, über die Entwicklung der Konzeption, der Besetzung der Rollen und Mitarbeiter, bis hin zur Durchführung der Probenarbeit bis zur Generalprobe zu durchleben, manchmal zu durchleiden. Um so beglückender ist ein gelungenes Ergebnis, und jede vorherige Mühe wert.
Die Verantwortung des Darstellenden Künstlers ist groß, auch der Druck dem er sich aussetzt, wenn er seine Aufgabe wirklich ernst nimmt: vor den Autoren und ihrem Werk, vor den mitwirkenden darstellenden Künstlern und nicht zuletzt, sicher sogar allem voraus, vor den Zuschauern! Jemand hat am Stoff vorgearbeitet, etliche denken und kreieren mit und viele sind voller Erwartung auf das Ereignis. Ihnen allen muss der Regisseur entgegentreten, oder besser, beiseite treten und als Hauptverantwortlicher die Zusammenarbeit und das Ergebnis doch tragen. Über den Sinn hierarchischer Strukturen bei der künstlerischen Arbeit kann man trefflich streiten, aber es sollte nach meinem Dafürhalten einen zentral Verantwortlichen geben, der, bei aller Offenheit zugetragener Ideen gegenüber, bei aller Motivationsförderung der beteiligten Mitstreiter und bei aller Neugierde auf die Vorschläge der Spezialisten aus den Fachabteilungen, die letzte Entscheidung trifft.
Das großartige Wirken in der darstellenden künstlerischen Arbeit ist für den Regisseur der Einsatz, oder auch Gebrauch, so vieler verschiedener zu gestaltender Komponenten. Zuerst wird im Sprechtheater der Darsteller und seine Sprache, seine Körperlichkeit, sein gesamter Ausdruck stehen. Beim Musiktheater wird es ebenfalls der Sänger mit seiner Stimme und seiner ganzen Erscheinung sein. Aber schon mit der Maske, dem Kostüm und der gesamten Ausstattung, der Dekoration, den Requisiten und der Beleuchtung, sowie dem Einsatz von Musik, Tönen (Geräuschen) oder visuellen Medien, der Projektion von Bildern oder Filmen, ist die Bildende Kunst mit auf der Bühne. Theaterarbeit umfasst beinahe jede Kunstgattung. Alle diese einzelnen Gewerke ergänzen sich zum Theaterereignis, sie alle müssen sich sinnvoll aufeinander beziehen, müssen aufeinander abgestimmt sein und sollten sich ergänzen um dem Stoff, der Handlung und der Präsentation, der Erzählform mit der Inszenierungskonzeption zu dienen. Ihr Gleichklang ist die Aufgabe der Inszenierungsarbeit.
Der Umgang mit dem Sujet
Dem Werk des Autoren, dem Theatertext, können Sie mit Werktreue begegnen, aber auch mit einer eigenen Interpretation, mit dem mutigen Versuch Ihre spezielle Sicht des behandelten Themas dem Werk abzutrutzen. Es macht jedoch meistens wenig Sinn gegen das Werk zu arbeiten und es handelt sich nicht zwangsläufig um eine reife künstlerische Entscheidung, das Werk zu untergraben oder gar zu vernichten; dann könnten Sie ja gleich ein anderes wählen. Manchmal kann es jedoch richtig, also z.B. zeitgerecht sein, das Werk auf seine inneren Widersprüche zu untersuchen, es mit neuen, heutigen Sichtweisen zu konfrontieren und seine Aktualität neu zu definieren, ja neu zu erfinden. Vielleicht würde ein längst verblichener Autor Ihnen heute freudig zustimmen, weil er selbst sein Werk unter anderen zeitlichen Bezügen ganz anders ausgestaltet hätte.
Sie können das Theaterstück in seiner Zeit belassen, also in seiner Entstehungszeit oder in der vom Autoren intendierten Zeit spielen lassen, oder aber in eine andere Zeit transponieren. Der mittelalterliche Klassiker in Jeans und mit Pistolen statt Schwertern ist hinreichend bekannt und vielleicht nicht immer die einzige gute Lösung um die Geschichte heutigen Zuschauern verständlich zu machen. Manch behauptetes Missverständnis der handelnden Figuren und seine dramatischen Folgen lassen sich nicht erzählen, wenn der Protagonist nur eben mal zum Handy greifen bräuchte um es kurzerhand aufzuklären. Bitte unterschätzen Sie nicht den Reiz und die Kraft der Veränderung oder Verfremdung. Ein barockes Kostüm, die Maske (Larve) aus Venedig, die Dekoration eines fernen Ortes können mehr verzaubern und dadurch Aufmerksamkeit auf sich ziehen als der naturalistische Staub vor der Haustür. Das Entfernte, Verstellte kann viel näher sein, kann viel eindringlicher auf den Zuschauer wirken, als das gewohnte Erscheinungsbild des Alltags.
Die Entscheidung für ein Umfeld, in dem das Stück spielen soll und damit verbunden die Frage nach dem Stil des Theaterabends, also auch nach der Grammatik der Erzählung, der Dramaturgie des Abends, sind die Ausgangspunkte für die zu erarbeitende Konzeption Ihrer neuen Theaterarbeit.
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