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Konzeption
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Die Konzeption
Nach der Entscheidung für einen Stücktext, einen Stoff, also das Thema Ihrer nächsten Theaterarbeit, steht die Entwicklung der Inszenierungskonzeption. Sie wollen das erwählte Stück interpretieren und darstellen, d.h. zur Aufführung vor einem Publikum bringen.
Es sind viele Fragen fast gleichzeitig zu behandeln und letztlich in Abhängigkeit zueinander zu entscheiden: In welcher Zeit spielt das Stück, will ich es transponieren? (siehe Vorbemerkung) Welchen Aufführungsstil wähle ich und in welcher Ausstattung lasse ich das Stück spielen? Wie besetze ich die Rollen des Stücks? Welchen technischen Aufwand brauche ich für die Umsetzung meiner Ideen? Und wie reagiert das am Ort vorhandene und zu erwartende Publikum auf das Thema und die Präsentationsform?
Welchen Aufführungsstil wähle ich?
Zwei wichtige Voraussetzungen fallen mir für die Tätigkeit des Regisseurs ein, neben den zu erwartenden Kenntnissen über die Organisation, das künstlerisch-technische Handwerk und die Durchführung der Theaterarbeit: der Blick des Weltbürgers auf die Lebensrealitäten und die geschichtlichen Zusammenhänge und die besondere Kenntnis von formalen Stilfragen.
Keine Angst, wir wollen die Sache nicht zu hoch hängen. Aber gemessen am gewählten Thema der Theaterarbeit, sollte sich der Regisseur schon mit politischen, gesellschaftlichen oder philosophischen, mitunter vielleicht psychologischen Aspekten des Themas vertraut gemacht haben. Das verständige Lesen von relevanten Texten, philosophischen oder interdisziplinären Abhandlungen zum Thema, macht großes Vergnügen und verschafft Ihnen die Sicherheit im Gegenstand Ihrer Betrachtung mental „zuhause“ zu sein. Die anspruchsvolle Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, Querverweise zur betreffenden (Sekundär-) Literatur, zur Poesie, zur Bildenden Kunst und zur Geisteswissenschaft, etwa zur Soziologie oder Kunstgeschichte, sind sinnvoll und befördern Ihre Möglichkeiten, vergrößern das Repertoire der Gestaltung.
Ebenso wichtig ist die Sicherheit in den Fragen des Stils, der Formenvielfalt der Theaterkunst. Ein weites und zunächst unübersichtlich scheinendes Feld, welchem wir uns unter der Rubrik der Theatertheorie später noch gesondert und weitergehender zuwenden wollen. Hier nur so viel dazu:
Sie erschaffen als Theaterkünstler eine neue, eine theatereigene Wirklichkeit, die sich von der realen, der erlebten Wirklichkeit der Zuschauer, in dem Moment in dem sie rezipierend im Theaterraum sitzen, unterscheiden wird. Wollen Sie dass diese Unterscheidung dem Zuschauer während der Dauer des Theaterabends bewusst bleibt (Brechts Verfremdung; nach Derrida) oder wollen Sie eine illusionistische Form schaffen, mit der der Zuschauer seine Wirklichkeit um sich herum für den Moment der Theateraufführung vergisst? Wollen Sie dem Zuschauer mit Lachen und Weinen eine Möglichkeit der Katharsis verschaffen, des Dampf Ablassens und der Befreiung, des Vergessens des Alltags, der ihn nach dem Theaterabend unweigerlich doch wieder einholt, oder lieber einen nachdenklichen, stärkenden und Bewusstsein bildenden Prozess anstoßen? Wollen Sie unterhalten, ein Event schaffen oder ein Kunstwerk, dem (nach Adorno) ein Bedeutungsüberschuss innewohnen muss, um überhaupt ein Kunstwerk zu sein? Wollen Sie eine Geschichte erzählen, mit allen narrativen Elementen dieser Form oder einen spannenden Abend durch die Begegnung von Textcollagen und neuer Musik vorstellen, der eine unbekannte, vielleicht auch beunruhigende Form der Wahrnehmung verlangt? Bevorzugen Sie unter den heute häufigsten ästhetischen Stilen den Naturalismus, den Realismus oder das absurde Theater? Jede Form der Theaterarbeit ist legitim, der Theaterschaffende und sein Ensemble müssen sich jedoch entscheiden und sollten dem gewählten Stil innerhalb einer Produktion konsequent folgen.
Besonders abhängig von der Entscheidung des Aufführungsstils ist die Arbeit des Darstellers an seiner Rolle. Die Art der Sprache und der Körperlichkeit sind nur im Verbund mit der Grammatik der Erzählung festzulegen. Wie direkt, unverstellt und unmanieriert muss der Darsteller an seine Textarbeit gehen, bei freien oder gefassten Texten? Welche künstlerischen Attitüden sind den Figuren zuzugestehen und wie abgestimmt verhalten sich die Figuren auf der Bühne zueinander körperlich? Kann es einen wohlgelittenen stilistischen Bruch geben zwischen der Arbeit des Darstellers an seiner Rolle und der Ausstattung? Könnte die Sprache des Darstellers in seiner Figur sehr direkt, also fast „natürlich“ sein und der Raum um ihn herum durchaus abstrakt und fragmentarisch? Welche Aufgabe übernimmt das Kostüm, als zweite Haut und trennende Grenze zwischen der Figur auf der Bühne und seiner Umgebung? Und wie könnte das Kostüm beschaffen sein um den zuvor erwähnten Bruch verständlich oder erträglich zu machen?
Der Naturalismus in der Kunst versucht die neu zu erschaffende Wirklichkeit auf der Bühne, der Natur am ähnlichsten erscheinen zu lassen, versucht sie nachzustellen ihr möglichst zu gleichen, ihr zu entsprechen, und bleibt damit oft an der Oberfläche der Erscheinungen hängen. Die Form des Realismus ist bestrebt, hinter diese Oberfläche zu blicken und sichtbar zu machen, „was die Welt im Innersten zusammen hält“, oder besser, was die Abhängigkeiten, die Interessen, die Wirkungen hinter dem vordergründigen Geschehen sind. Frei nach dem Gedanken, „Als guter Realist muss ich alles erfinden!“, der widersprüchlich scheint, aber in der künstlerischen Arbeit durchaus brauchbar ist. Nicht lügen ist gemeint, sondern die tiefergehende Kenntnis und Aussage über das Thema, welches die wirklichen Zusammenhänge offenbart.
Im Realismus sind Formen der Verfremdung möglich, z. B. die Fragmentierung des Bühnenbildes und der Ausgestaltung der Requisiten und Kostüme. Oder jede weitere Form der Abstraktion, d.h. unter Hinweglassung des Unwesentlichen sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Übergänge zu surrealen Formen des Phantastischen, der Parabel und des Märchens sind fließend.
Die Entscheidung für den Aufführungsstil fällt gemeinsam mit der über die Ausstattung. Das gestalterische Umfeld, die Ausstattung des Bühnenraumes, der Kostüme und der Requisiten, ist vom Stil der Aufführung abhängig. Soll es ein voll ausgestatteter Raum sein, mit Detailtreue oder sollen wenige „erzählende“ Requisiten und Kostümteile die Konzentration auf sich lenken. Die Zeit, in der das Stück spielt, ist ebenso entscheidend. Sie wird erheblich durch die Kostüme und die Requisiten dargestellt.
Die Besetzung der Rollen
Mal unterstellt Sie haben ein großes Ensemble zur Verfügung und können frei, d.h. ohne jede Not entscheiden, wen Sie mit der jeweiligen Rolle beauftragen. Es gibt also genug weibliche und männliche Darsteller, die Alterswünsche sind genau zu erfüllen und die Temperamente sind mehrfach und in jeder Abstufung vorhanden. Das gibt es nur selten, aber nehmen wir es mal so an!
Sie sollten sich aus den konzeptionellen Überlegungen Ihrer Theaterarbeit heraus entscheiden können, ob Sie nach dem Typ oder gegen den Typ die Rolle besetzen wollen. Ob Sie, entsprechend der im Stück gemachten Angaben oder Ihrem Verständnis von den zu besetzenden Rollen, die möglichste Übereinstimmung des privaten Menschen aus Ihrem Ensemble, dem Darsteller / der Darstellerin und der zu besetzenden Figur erzielen wollen oder ob Sie mit Brüchen mehr Spannung erzeugen könnten, also gegen die typische Erwartungshaltung zur Figur, eine Persönlichkeit mit der Rolle beauftragen, die beim ersten Anschein nicht „auf der Rolle liegt“, wie man so sagt, sondern ihr einen besonderen Reiz entlocken könnte und durch eine eigene, untypische Interpretation die Sprengung des erwarteten Musters ermöglicht. Klischees nicht zu bedienen, sie zu unterwandern und den Zuschauer auf die Enge seiner Vorurteile, wie jemand zu sein habe, dadurch hinzuweisen, ist eine vornehme Aufgabe der Künste.
Auf der sicheren Seite sind Sie, wenn Sie typgerecht besetzen. Das wird in der Regel auch das mitunter vernünftige Vorgehen sein.
Daneben gibt es eine Vielzahl von praktischen, psychologischen Fragen: Ist die Darstellerin / der Darsteller der Rolle gewachsen, überfordere ich sie damit? Passen die Figuren vom Alter her zusammen und harmoniert das ganze Stückensemble? Sind die Handlungsmotive so verständlich, logisch in ihrer Abfolge?
Wenn Sie unsicher sind oder neu mit einem Ensemble zusammenarbeiten, so lassen Sie die Kandidaten für die einzelnen Rollen vorsprechen. Oder veranstalten Sie einige Übungen und Gruppenspiele. Sie erfahren somit gleich noch etwas über die Teamfähigkeit des einzelnen Beteiligten und lernen womöglich Zuneigungen und Ressentiments innerhalb der Gruppe kennen.
Technischer Aufwand zur Umsetzung der Ideen
Die Entwicklung der Konzeption kann nie frei sein von Zwängen. Am wichtigsten wird die Frage sein, ob Ihre Ideen technisch umzusetzen sind und ob das Theater, die Theatergruppe, die Umsetzung auch finanzieren kann. Ersteres werden Sie mit dem Bühnenmeister oder dem technisch erfahrenen Bühnenbildner in Vorgesprächen klären. Denn die technische und finanzielle Machbarkeit nimmt selbstverständlich Einfluss auf die Ausgestaltung der Konzeption. Ohne schon im Vorwege die Schere im Kopf zu haben, werden Sie als erfahrener Regisseur aber ganz gut wissen, was geht und was nicht. Im gemeinsamen Gespräch mit der Theaterleitung, dem Bühnenbildner oder Ausstattungsleiter und der Dramaturgie lässt sich aber das Machbare am besten ausloten, denn siehe da, manches geht dann vielleicht doch.
Rücksichtnahme auf das Publikum?
Aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung nehme ich die Einsicht, dass allzu viel Rücksichtnahme einer Entmündigung gleich kommt. Zwischen einer Publikumsbeschimpfung oder einer derartigen Überforderung, dass die Zuschauer das Theater unter lautem Protest verlassen, und der rücksichtsvollen, gut gemeinten Unterforderung mit Seichtem, liegt eine weite Spanne, ein weites Feld für eine engagierte künstlerische Ausdrucksform. Unterschätzen Sie Ihr Publikum nicht! Fordern Sie es heraus, aktiv an der Wahrnehmung Ihrer Theaterarbeit teilzunehmen, sich anzustrengen bei der Rezeption des Theaterereignisses. Auch schwierige, gesellschaftskritische Themen sind mit erstklassiger Theaterarbeit dem Publikum nahe zu bringen. Dafür gibt es zahlreiche Belege.
Mit dem Entwurf der Konzeption in der Hand gehen Sie noch während der Phase der Vorarbeiten auf die Durchführung und die Planung der Probenarbeit zu.
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